Schwerbehinderte Arbeitnehmer haben im Berufsleben viele Nachteile. Allerdings genießen sie einen besonderen Kündigungsschutz. Das heißt aber nicht, dass sie unkündbar sind.

In diesem Beitrag erläutern wir Ihnen, wie schwerbehinderte Arbeitnehmer vor einer Kündigung geschützt sind und wann sie doch entlassen werden können.

1. Wer gilt als schwerbehindert?
2. Grundsatz: Allgemeiner Kündigungsschutz
a. Schutz nach dem Kündigungsschutzgesetz
b. Anhörung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG
c. Kündigungsfrist
3. Besonderheiten bei Schwerbehinderten
a. Zustimmungspflicht des Integrationsamtes nach § 168 SGB IX
b. Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach § 95 Abs. 2 SGB IX
c. Ausnahmen vom besonderen Kündigungsschutz
4. Was passiert bei noch unklarem Behindertenstatus?
5. Was tun bei einer Kündigung?
a. Widerspruch beim Integrationsamt einlegen
b. Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen
c. Fachanwalt für Arbeitsrecht aufsuchen
6. Fazit

1. Wer gilt als Schwerbehinderter?
Arbeitnehmer können sich nur dann auf den besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte berufen, wenn sie ihre Schwerbehinderung auch nachweisen können.

Behinderungen sind körperliche Beeinträchtigungen, die mindestens sechs Monate andauern. Arbeitnehmer können sich aber nicht bei jeder Einschränkung schon auf den besonderen Kündigungsschutz berufen. Entscheidend ist der Grad der Behinderung (GdB):

• Ab einem GdB von 50 gilt ein Arbeitnehmer als schwerbehindert.
• Ausnahmsweise kann die Agentur für Arbeit aber auch Arbeitnehmer mit einem GdB ab 30 Schwerbehinderten gleichstellen. Voraussetzung ist, dass trotz des geringeren Grades der Behinderung Probleme bestehen, die sich auf dem Arbeitsmarkt auswirken.

Arbeitnehmer sollten wissen, dass die bloße Schwerbehinderung nicht genügt. Denn die Schwerbehinderteneigenschaft muss dem Arbeitgeber gegenüber zum Zeitpunkt der Kündigung auch nachgewiesen worden sein. Hierfür wendet sich der schwerbehinderte Arbeitnehmer an das zuständige Versorgungsamt. Dieses erteilt einen Bescheid über die Behinderung. Feststellung und Nachweis der Schwerbehinderung sind nur dann nicht notwendig, wenn die Schwerbehinderung offensichtlich ist.

Beispiel: Arbeitnehmer A hat bei einem Unfall seinen rechten Arm verloren. Soll A nun gekündigt werden, genießt er ohne weiteres den besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte.

2. Grundsatz: Allgemeiner Kündigungsschutz
Auch dem schwerbehinderten Arbeitnehmer steht neben dem besonderen Kündigungsschutz der allgemeine Kündigungsschutz zu, auf den sich (fast) jeder Arbeitnehmer berufen kann.
Der Arbeitgeber kann dem schwerbehinderten Arbeitnehmer also nur dann kündigen, wenn die Kündigung mit dem allgemeinen Kündigungsschutz vereinbar ist.

a. Schutz nach dem Kündigungsschutzgesetz
Nach § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) darf der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nur bei Vorliegen eines personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Grundes kündigen.
Bei einer Schwerbehinderung ist meist die personenbedingte Kündigung relevant. Denn deren wichtigste Fallgruppe ist die Erkrankung des Arbeitnehmers. Auch die Schwerbehinderung zählt als Krankheit und kann daher ein personenbedingter Kündigungsgrund sein.
Für eine krankheitsbedingte Kündigung müssen aber folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
• Die Schwerbehinderung muss den Betrieb des Arbeitgebers beeinträchtigen, z.B. durch massive Fehlzeiten oder mangelnde Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers.
• Diese Beeinträchtigung muss auch in Zukunft bestehen.
• Andere Lösungen sind ausgeschöpft oder nicht möglich, z.B. ein betriebliches Wiedereingliederungsmanagement oder eine Versetzung.
Neben der personenbedingten Kündigung kommen folgende Kündigungsgründe in Betracht:
• Verhaltensbedingte Gründe (z.B. körperliche Angriffe des Arbeitnehmers auf Kollegen)
• Betriebsbedingte Gründe (z.B. keine Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers mehr wegen Umstrukturierung des Betriebes)

Voraussetzung für den allgemeinen Kündigungsschutz ist aber, dass im Betrieb mehr als 10 Personen arbeiten und der Arbeitnehmer schon länger als 6 Monate im Betrieb beschäftigt ist. In Kleinbetrieben und in der Probezeit braucht der Arbeitgeber daher keinen Kündigungsgrund. Das gilt auch für die Entlassung schwerbehinderter Arbeitnehmer.

b. Beteiligung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG
Besteht im Betrieb ein Betriebsrat, ist dieser vor jeder Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) anzuhören. Ohne eine solche Anhörung ist die Kündigung unwirksam.
Ein Betriebsrat kann eingerichtet werden, wenn im Betrieb mindestens fünf Arbeitnehmer beschäftigt sind (§ 1 Abs. 1 BetrVG).

c. Kündigungsfrist
Auch bei Schwerbehinderten gelten grundsätzlich die allgemeinen Kündigungsfristen. Sie sind in § 622 BGB aufgeführt und richten sich nach der Länge des schon bestehenden Arbeitsverhältnisses. Je länger der Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt ist, desto länger ist auch die Kündigungsfrist.

Für schwerbehinderte Arbeitnehmer gilt ergänzend, dass die Kündigungsfrist mindestens vier Wochen betragen muss (§ 169 IX SGB).

Nur bei einer außerordentlichen Kündigung muss der Arbeitgeber grundsätzlich keine Fristen beachten. Eine solche Kündigung ist aber nur dann möglich, wenn ein wichtiger Kündigungsgrund, beispielsweise ein Diebstahl am Arbeitsplatz, vorliegt.

3. Besonderheiten bei Schwerbehinderten
Zusätzlich zum allgemeinen Kündigungsschutz, der fast jedem Arbeitnehmer zusteht, haben Schwerbehinderte bei einer Kündigung weitere Rechte. Dieser „besondere Kündigungsschutz“ ergibt sich maßgeblich aus dem 9. Sozialgesetzbuch (SGB IX).

In den folgenden Abschnitten erklären wir Ihnen genauer, warum der Schwerbehinderte vor einer Kündigung besonders gut geschützt ist.

a. Zustimmungspflicht des Integrationsamtes nach § 168 SGB IX
Damit ein schwerbehinderter Arbeitnehmer wirksam gekündigt werden kann, muss nach § 168 SBG IX das Integrationsamt zustimmen. Das gilt auch, wenn im Betrieb 10 oder weniger Personen arbeiten.

Der Arbeitgeber muss das Integrationsamt daher von der geplanten Kündigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers in Kenntnis setzen. Das Integrationsamt hört dann den Arbeitnehmer an und holt zusätzlich eine Stellungnahme des Betriebsrates und der Schwerbehindertenvertretung ein. Es prüft vor allem, ob die Kündigung mit der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zusammenhängt. In diesem Fall wird die Zustimmung in der Regel versagt und die Kündigung wäre rechtswidrig. Im Übrigen wiegt das Integrationsamt das Interesse des Schwerbehinderten an seinem Arbeitsplatz gegen das Interesse des Arbeitgebers, frei über seinen Betrieb bestimmen zu können, ab.

Stimmt das Integrationsamt der Kündigung zu, kann der Arbeitnehmer Widerspruch einlegen. Was es genau mit dem Widerspruch auf sich hat, erklären wir Ihnen am Ende des Beitrags.

b. Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach § 95 Abs. 2 SGB IX
Nach § 95 Abs. 2 SGB IX ist vor der Kündigung eines Schwerbehinderten die Schwerbehindertenvertretung anzuhören. Ohne Anhörung ist die Kündigung unwirksam. Daneben muss weiterhin auch der Betriebsrat angehört werden.

c. Ausnahmen vom besonderen Kündigungsschutz
In folgenden Fällen greift der besondere Kündigungsschutz trotz Schwerbehinderung nicht ein:

• Der Arbeitnehmer muss mehr als sechs Monate im Betrieb beschäftigt sein, um sich auf den besonderen Schutz berufen zu können (§ 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB IX). Der Arbeitgeber hat aber trotzdem Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung anzuhören.
• Im Rahmen befristeter Arbeitsverträge endet das Arbeitsverhältnis automatisch nach Ablauf der vereinbarten Frist. Damit liegt schon keine Kündigung vor, sodass der Arbeitnehmer auch nicht auf seinen Kündigungsschutz verweisen kann.
• § 173 SGB IX regelt besondere Ausnahmen, z.B. wenn Arbeitnehmer in karitativen Behindertenwerkstätten arbeiten oder mindestens 58 Jahre alt sind und aufgrund eines Sozialplans eine Abfindung erhalten.
• Eine Eigenkündigung des Arbeitnehmers oder ein Aufhebungsvertrag sind ebenfalls nicht vom Kündigungsschutz erfasst. Denn dieser soll den Arbeitnehmer vor Kündigungen schützen, nicht aber seine Handlungsfreiheit beschneiden.

4. Was passiert bei noch unklarem Behindertenstatus?
Mitunter kündigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, während dessen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung oder Gleichstellung noch läuft. Über den Antrag wurde also noch nicht entschieden.

Das stellt zwar mitunter, aber nicht immer ein Problem dar. Grundsätzlich muss die Schwerbehinderteneigenschaft zum Zeitpunkt der Kündigung nachgewiesen sein. Wurde der Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung aber drei Wochen vor Zugang der Kündigung eingereicht, gilt der Kündigungsschutz faktisch ab diesem Zeitpunkt. Der Arbeitgeber muss aber auf den laufenden Antrag hingewiesen werden.

5. Was tun bei einer Kündigung?
Wird Ihnen trotz Ihrer Schwerbehinderung gekündigt, sollten Sie keinesfalls untätig bleiben. Sie genießen grundsätzlich einen starken Kündigungsschutz, sodass Sie Ihren Arbeitsplatz in vielen Fällen mithilfe eines Anwalts retten können.
Folgendes kann gegen Ihre Kündigung unternommen werden:

a. Widerspruch beim Integrationsamt einlegen
Stimmt das Integrationsamt der Kündigung zu, kann der Arbeitgeber dem schwerbehinderten Arbeitnehmer kündigen. Damit ist aber noch nicht alles verloren.

Gegen den Zustimmungsbescheid kann der Arbeitnehmer Widerspruch einlegen. Der Widerspruch muss innerhalb eines Monats ab Zustellung des Zustimmungsbescheides erhoben werden. Ist dieser erfolgreich, wird die Kündigung im Nachhinein unwirksam.

Parallel sollte der Arbeitnehmer trotzdem Kündigungsschutzklage erheben, falls der Widerspruch nicht zum Erfolg führt. Mehr dazu im folgenden Abschnitt.

b. Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen
Möchten Sie sich gegen Ihre Kündigung wehren, müssen Sie Kündigungsschutzklage erheben und vor Gericht darlegen, warum Ihre Kündigung nicht rechtens ist.
Sie können beispielsweise geltend machen, dass gar kein Kündigungsgrund bestand, die Schwerbehindertenvertretung nicht angehört oder das Integrationsamt erst gar nicht eingeschaltet wurde. Aufgrund Ihres besonderen Kündigungsschutzes stehen die Chancen vor Gericht oft gut.

Wichtig: Die Klage muss innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung erhoben werden. Verpassen Sie die Frist, ist Ihre Kündigung in jedem Fall wirksam. Das gilt selbst dann, wenn Ihr Arbeitgeber Ihren Kündigungsschutz missachtet hat.

c. Fachanwalt für Arbeitsrecht aufsuchen
Das oben beschriebene Vorgehen ist im Einzelnen komplex und beinhaltet je nach Konstellation viele Fallstricke. Juristische Laien können meist nur schwer einschätzen, ob eine Kündigung rechtswidrig ist und wie man sich am besten wehren kann.

Sie sollten daher in jedem Fall einen Anwalt für Arbeitsrecht aufsuchen und mit ihm Ihren konkreten Fall besprechen. Anschließend wird er für Sie weitere Schritte in die Wege leiten.

6. Fazit

• Als schwerbehindert gilt, wer einen GdB von über 50 vorweisen kann. Ab einem Grad von 30 kann das Arbeitsamt den Arbeitnehmer einem Schwerbehinderten gleichstellen.
• Schwerbehinderte genießen den allgemeinen Kündigungsschutz, der jedem Arbeitnehmer zusteht. Daher muss für eine Kündigung ein Kündigungsgrund vorliegen. Außerdem ist der Betriebsrat zu beteiligen und die Kündigungsfrist einzuhalten.
• Schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen darüber hinaus besonderen Kündigungsschutz. Das Integrationsamt muss daher jeder Kündigung zustimmen. Außerdem ist die Schwerbehindertenvertretung anzuhören.
• Bei einer Kündigung sollte ein Fachanwalt für Arbeitsrecht aufgesucht werden. Dieser kann Widerspruch gegen die Zustimmung des Integrationsamtes einlegen und/oder Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht erheben.